|  |  |  
 
		
		 29/05/2017 
		
		Wir sind Diskurspartner – seid mitverantwortlich! 
		
		
		Zum Tode des Ehrendoktors der Freien Universität Berlin Karl-Otto Apel 
		
		 
		
		
		
		
		KARL-OTTO APEL 
		  
		
		In seinem Haus oberhalb Frankfurts starb, 95jährig, am 15. Mai der 
		Sprachpragmatiker und Diskursethiker Karl-Otto Apel, nachdem bei 
		Suhrkamp gerade sein letztes Buch „Transzendentale Reflexion und 
		Geschichte“ erschienen war.
		
		
		 
		
		Der kritische Weggefährte von Jürgen Habermas lehrte in Kiel, 
		Saarbrücken und seit 1973 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. 
		 
		
		Am 11. Juli 2000 verlieh ihm der Fachbereich Philosophie und 
		Geisteswissenschaften der FU den Ehrendoktortitel: Nachdem die 
		Vizepräsidentin der FU, Gisela Klann-Delius, ihr Grußwort, das eine 
		philosophische Reflexion über „Warum (nicht: wozu) moralisch sein“ war, 
		gehalten, Dekan Gert Mattenklott die Ehrendoktorwürde verliehen und 
		Dietrich Böhler die Laudatio „Kommunikation, Reflexion, 
		Mitverantwortung. Über das Denkleben eines philosophe engagé“ 
		vorgetragen hatte, erörterte Karl-Otto Apel „das Spannungsverhältnis 
		zwischen Ethik, Völkerrecht und politisch-militärischer Strategie“ – im 
		Blick auf den NATO-Einsatz im Kosovo. 
		 
		
		
		
		Apels ursprüngliche Einsicht ist die 
		(erstmals 1973 in „Transformation der Philosophie“, Band II entwickelte) 
		Dialektik einer idealen Kommunikationsgemeinschaft und den realen 
		Kommunikationsgemeinschaften: Etwas
		als dieses oder jenes verstehend, über etwas redend und etwas 
		Bestimmtes tuend, sind wir keine einsamen Subjekte (wie die neuzeitliche 
		Philosophie von Descartes bis Husserl unterstellte), sondern von 
		vornherein Mitglieder realer Sprachgemeinschaften und Selbstbehaupter in 
		realen Gesellschaften. In 
		diesen zwar relativ durchlässigen, freilich partikularen Sinn- und 
		Handlungszusammenhängen beanspruchen wir aber immer schon
		Geltung, nämlich 
		Verständlichkeit und Wahrheit, Glaubwürdigkeit und Richtigkeit bzw. 
		Verantwortbarkeit. Damit haben wir uns stillschweigend auf die 
		Geltungsinstanz einer idealen Kommunikationsgemeinschaft bezogen, in der 
		ausschließlich sinnvolle, widerspruchsfreie
		Argumente gelten würden und wo 
		alle, die sinnvoll argumentieren,
		gleichberechtigt, aber auch gleichermaßen
		mitverantwortlich wären. Wie? Indem sie das Diskurs- und 
		Moralprinzip „D“ befolgen, das man etwa so formulieren kann:
		‚Suche und praktiziere allein das, 
		was die Zustimmung aller als Dialog- und Argumentationspartner 
		verdient.‘
		 
		
		Praktisch folgert Apel daraus vor allem dreierlei: Kommunikation, durch 
		die wir etwas geltend machen, verlangt Mitverantwortung für deren 
		Realisierungsbedingungen, wie Freiheit, Auskommen, lebensdienliche 
		Umwelt. Das ist das nicht sinnvoll bezweifelbare
		Prinzip Mit-Verantwortung (so 
		der Titel des vom Hans Jonas-Zentrums der FU zur Ehrenpromotion 
		veranstalteten internationalen Ethik-Kongresses 2000 und des von Apel 
		mitherausgegebenen Diskursbuches, Würzburg 2001). 
		 
		
		Da jedoch die realen Kommunikationsgemeinschaften mitbestimmt sind von 
		der Selbstbehauptung der Menschen und den weniger kommunikativ als 
		strategisch agierenden Selbstbehauptungssystemen der Gesellschaften und 
		Nationen, der Wirtschaft, der Politik und des Rechtssystems, könne (und 
		dürfe) man nicht damit rechnen, daß die beim Argumentieren 
		vorausgesetzten Geltungsansprüche hinreichend oder nur zumeist auch 
		eingelöst werden. Daraus folgert Apel: Mitverantwortung läßt sich nur 
		realisieren, wenn wir uns bemühen, gegen vernunft- und moralwidrige 
		(d. h. mit widerspruchsfreien Argumenten nicht zu rechtfertigende) 
		Selbstbehauptungs-Folgen Konterstrategien einzusetzen. Nicht 
		irgendwelche, sondern allein solche, die sowohl erfolgsfähig als auch 
		zustimmungswürdig sind. Apel nannte das den verantwortungsethischen 
		„Teil B der Diskursethik“. 
		 
		
		Drittens folgert Apel, in Auseinandersetzung mit seinem Frankfurter 
		Freund Habermas, daß eine Ethik, die sich durch Besinnung auf uns als 
		virtuelle Diskurs-Teilnehmer und auf die Instanz des argumentativen 
		Diskurses begründet, nicht ausschließlich eine Philosophie der 
		Gerechtigkeit sein kann. Vielmehr schließe die Diskursethik ebenso 
		Mitverantwortung als Prinzip ein. Gerechtigkeit und Mitverantwortung 
		seien von vornherein verwoben. 
		
		Auf diese Weise holt „the ugly rationalist“ Apel „Das Prinzip 
		Verantwortung“ von Hans Jonas ein, seinem deutsch-jüdisch-amerikanischen 
		Denkfreund auf dem anderen, nämlich metaphysischen Ufer. Ihm hatte die 
		FU 1992 im Beisein von Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker den 
		Ehrendoktortitel verliehen. Wie die vom Hans Jonas-Zentrum verantwortete 
		„Kritische Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas“ im jüngsten Band 
		(I/2.2) dokumentiert, hatte Jonas die ökologische Krise und eine globale 
		Mitverantwortung bereits 1968 bedacht, während Apel eben das 1967 in 
		seinem Göteborger und Bergener Vortrag „Das Apriori der 
		Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik“ tat. – Zwei 
		geistesgegenwärtige Prinzipiendenker in prinzipienunwilliger Zeit und 
		„against the stream“ einer zumeist prinzipienunfähigen Philosophie. 
		 
		
		Der Bundespräsident veröffentlichte eine Würdigung Karl-Otto Apels, die 
		mit den Worten schließt: „Das Werk von Karl-Otto Apel ist […] von 
		herausragender Aktualität. Die von ihm formulierten Regeln und 
		Grundlagen für eine Argumentations- und Kommunikationsgemeinschaft unter 
		Gleichberechtigten haben mitgeholfen, nach dem Zweiten Weltkrieg eine 
		humane und zivile Gesellschaft aufzubauen. Weit über Deutschland hinaus 
		genoss Karl-Otto Apel zu Recht hohe Anerkennung und verdientermaßen 
		philosophischen Ruhm.“ 
		
		
		Dietrich Böhler 
		
		 
		   |  |  |